Freitag, November 02, 2012
Wenn die Idee des Todes
Wenn die Idee des Todes mir zu jener Zeit, wie man gesehen hat, die Liebe verdüsterte, half mir doch seit langem schon die Erinnerung an die Liebe dazu, den Tod nicht mehr zu fürchten. Ich gelangte zu der Einsicht, daß Sterben nicht etwas Neues, sondern daß ich im Gegenteil von meiner Kindheit an schon viele Male gestorben sei. Um die Periode herauszugreifen, die am wenigsten weit zurücklag: hatte ich an Albertine nicht mehr als an meinem Leben gehangen? Konnte ichh denn da meine Person begreifen, ohne daß diese meine Liebe in ihr weiterlebte? Nun aber liebte ich sie nicht mehr, ich war nicht länger das Wesen, das sie liebte, sondern ein von jenem verschiedenes, das sie nicht mehr liebte, ich hatte aufgehört, sie zu lieben, als ich ein anderer geworden war. Nun aber litt ich darunter nicht, dieser ander geworden zu sein und Albertine nicht mehr zu lieben; gewiß aber konnte mir der Verlust meines Leibes keinesfalls so traurig erscheinen wie ehedem der Gedanke, eines Tages Albertine nicht mehr zu lieben. Und dennoch, wie gleichgültig war es mir jetzt, daß ich sie nicht mehr liebte! Diese aufeinanderfolgenden Tode, die das Ich , welches sie vernichten sollten, so sehr gefürchtet hatte, die aber so belanglos und so sanft sich zeigten, sobald sie einmal eingetreten waren und das Ich, das sie fürchtete, nicht mehr da war, um sie zu verspüren, hatten mir seit einiger Zeit Verständnis dafür geschenkt, wie wenig weise es wäre, vor dem Tode Grauen zu empfinden. Nun aber begann ich gerade jetzt,da er mir seit kurzem gleichgültig geworden war, ihn von neuem zu fürchten, freilich in einem anderen Sinne, nicht mehr für mich, sondern für mein Werk, zu dessen Entstehen - mindesten eine gewisse Zeitlang - das von so vielen Gefahren bedrohte Leben unerläßlich notwendig war.
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